„Wo, wenn nicht hier! Wann, wenn nicht jetzt! Wer, wenn nicht wir!“ – Ein Gespräch mit Uli Mayer-Johanssen
Die Sonne strahlt durch die Fenster im ersten Stock des Wintergarten-Gebäudes. In den frisch renovierten Räumen der Firma Traffic sind zwei Räume von der Uli Mayer-Johanssen GmbH belegt. Sie selber sitzt neben einem Strauß Rosen, buntes Zeugnis eines Überraschungsbesuches der ehemaligen Kollegen aus der inzwischen fernen Leibnizstraße.
Seit dem 27. Juli ist das Büro Deiner neuen Firma in der Potsdamer Straße unweit der Alten Potsdamer Straße, wo im Weinhaus Hut vor nunmehr 27 Jahren Deine Geschichte mit MetaDesign begann. Wie fühlt es sich an, gerade hier einen Neustart zu beginnen?
(lacht) . . . Irgendwie vertraut und ein wenig so, als würde ich zu den Wurzeln zurückkehren. Luftlinie sind es ja gerade mal 500 Meter. Der Potsdamer Platz sah damals noch sehr anders aus. Das Weinhaus Huth war das einzige Gebäude, das den Krieg und die Teilung überstanden hatte. Der Grenzübergang war offen, gefallen war die Mauer noch nicht. Das Klopfen der Mauerspechte war Tag und Nacht zu hören. Journalisten und Touristen aus aller Welt versammelten sich von Morgens bis Abends sozusagen vor unserer Tür. Beim Wall-Konzert hatten wir natürlich einen Logenplatz. Wie wir trotz des ganzen Trubels unsere Arbeit machen und gleichzeitig wachsen konnten, ist mir bis heute ein Rätsel.
Im August 1990 entschieden wir uns einen neuen Ort zu suchen, denn es war klar, der Potsdamer Platz wird zur Großbaustelle… ja und jetzt wieder hier! Am neuen Hot-Spot Berlins! Einem hochspannenden, quicklebendigen und kreativen Kiez. Das passt genau zu dem, was mich jetzt bewegt: Dank der vielfältigen Erfahrung sich mit Themen auseinanderzusetzen, die letzten Endes beschreiben, wie wir zukünftig leben wollen. Und ähnlich wie damals stellt sich ein Gefühl ein: Wo, wenn nicht hier! Wann, wenn nicht jetzt! Wer, wenn nicht wir!
Von den Gefühlen zu den Fakten. MetaDesign hast Du stark geprägt und umgekehrt – immerhin fast Dein halbes Leben. Welche Erkenntnisse hast Du aus der Zeit mitgenommen? Was folgt daraus für Dich hier und jetzt? Oder vereinfacht und überspitzt gefragt: Was kann man nach „MetaDesign“ überhaupt noch machen?
Ich habe MetaDesign immer als eine Lernstätte verstanden. Ich glaube, das war mir am allerwichtigsten. Und jetzt stellt sich die Frage wie man das, was aus Leidenschaft, Neugierde und Kompetenz gewachsen ist, erweitern kann: Diese großartigen Grundlagen wie Visionsprozesse, Transformationsprozesse, die Arbeit mit Führungskräften. Dabei die Menschen auf den Weg mitnehmen, Türen und Vorstellungsräume öffnen und Begeisterung für etwas wecken. Die strategische Dimension dieser immensen Gestaltungskraft über die Idee, die Vorstellung einer Zukunft, und nicht zuletzt über ein Narrativ verständlich zu machen, das ist mir ein großes Anliegen; auch in meinen Vorträgen, Seminaren in Hochschulen und auf Kongressen.
Nun stellen wir fest, dass die Problematik größer und komplexer wurde. Auch weil der Markt sich dramatisch verändert und damit ein immenser Druck auf den Führungskräften lastet, bleiben die Effizienzkriterien, die treibenden Elemente. Der Focus liegt nach wie vor auf schneller, einfacher, billiger. Viele Führungskräfte tun sich sehr schwer damit, dieses Denken bei Seite zu schieben und zu sagen, „ok! Alles wichtig, aber wir müssen uns parallel um die Frage kümmern, wie wir die Zukunft, unsere Zukunft gestalten wollen“.
Auf Deiner Visitenkarte und auf dem Briefbogen steht „Identitätsbasierte Unternehmens- und Markenführung“. In Deinen Vorträgen sprichst Du von „Markenführung aus der Philosophie der Ganzheit“. Das klingt wie eine Mischung aus Betriebswirtschaft, Philosophie und Esoterik. Wie würdest Du Deinen Denkansatz beschreiben?
Ganz sicher hat er viel mit Philosophie und betriebswirtschaftlicher Realität zu tun, aber rein gar nichts mit Esoterik. Mit den Vorstellungen wie wir Zukunft gestalten, ist einiges an Schindluder getrieben worden. Ich setze mich seit über 15 Jahren mit der Lehre der Metaphysik auseinander. Wenn wir aus dieser Perspektive hinterfragen, was Unternehmen sind, wie sie entstehen und was ihnen hilft, bestimmte Dinge zu realisieren, dann müssen wir erkennen, dass die nötigen Veränderungen beim Menschen anfangen. Und dass insbesondere Führungskräfte hierbei eine zentrale Verantwortung haben.
Sie müssen Werte und Sinnhaftigkeit vermitteln. Dabei geht es heute nicht mehr darum Sanktionsmacht auszuüben, sondern darum eine integrative Kraft zu sein. Menschen brauchen das Gefühl, dass sie am richtigen Ort sind, dass sie ihre Potentiale und Fähigkeiten einbringen und entwickeln können. Ansonsten blockiert das Unternehmen sich selbst, unabhängig von Idee oder Strategie.
Du hast ein interdisziplinäres Team um dich versammelt, Naturwissenschaftler, Ökonomen, Journalisten, Designer, und plädierst für ein dringendes Umdenken: weg vom ressourcenverschlingenden hin zum ressourcenerhaltenden Wirtschaften. Wo siehst Du da konkrete Handlungsansätze für Dich und das Team?
Da muss man ein bisschen ausholen: Seit vielen Jahren bin ich davon überzeugt, dass Teams immer stärker interdisziplinär aufgestellt sein müssen. Wir müssen Kompetenzgrenzen überwinden und Silodenken beenden, um letzten Endes mit einem ganzheitlichen Blick synergetische Prozesse in ihren Wirkungsdimensionen zu verstehen und dementsprechend umzusetzen. Eines Tages saß Prof. Dr. Michael Braungart vor mir und ich muss gestehen, nach zwei Stunden hat mich sein Thema „cradle to cradle“ total fasziniert: also die Idee einer gesunden ressourcenerhaltenden Kreislaufwirtschaft, die positives qualitatives Wachstum zum Ziel hat und das Gegenteil von Verzichten, Vermeiden und Verringern darstellt. Und dies auf rein wissenschaftlicher Basis, ohne Dogmatik, Ideologie und jenseits politischer Ausrichtung, Religion, oder Apellen an die Moral.
Die Frage geht im Kern darum, ob etwas positiv oder negativ wirksam ist. Wir müssen die kognitive Dissonanz überwinden, auf der einen Seite zu sehen, dass wir so nicht weiter machen können und auf der anderen Seite schlicht genau dies ignorieren. Wir müssen das Wissen, das uns zur Verfügung steht, in Unternehmen, Wirtschaft, Industrie, und in das öffentliche Bewusstsein transferieren und deutlich machen, dass es Lösungen gibt.
In vielen Gesprächen mit Menschen, die sich mit dieser Thematik aus unterschiedlichsten Perspektiven befasst haben, wurde deutlich, dass die Kommunikation ein zentrales Problem darstellt. Und so landen wir letzten Endes bei Faktoren wie Kommunikationskompetenz und der Fähigkeit komplexe Sachverhalte einfach und klar zu kommunizieren. Die Wissenschaft kennt viele Antworten für Probleme, vor denen wir – die Menschheit als Ganzes gerade stehen. Diese Lösungsansätze müssen schleunigst kompetent, einfach und attraktiv kommuniziert werden.
Kann man das als Deine Vision für die Uli-Mayer-Johanssen GmbH bezeichnen?
In gewisser Weise zielt „Identitätsbasierte Unternehmens- und Markenführung“ bereits in diese Richtung. Konkret wird es auf den gerade skizzierten Handlungsfeldern. Dafür bin ich mittlerweile zu etwas wie einer Triebfeder geworden und so konnte ich in den letzten Monaten ein Kernteam um mich versammeln.
Mir wurde immer klarer, dass alles viel wirksamer wird, und vielleicht sogar „der“ Schlüssel ist, wenn beide Dimensionen miteinander in Verbindung gebracht werden: wissenschaftlich erarbeitete Lösungen, um Materialgesundheit und qualitative Recyclierbarkeit zu gewährleisten, wobei Kriterien wie Wassermanagement, erneuerbare Energien und Soziales zentrale Faktoren sind, und diese Grundhaltung und Überzeugung auch in der Vision, der Identität und in der Idee von der Zukunft eines Unternehmens verankert ist und wirksam wird.
Die Mitarbeiter des Unternehmens – und zwar alle – müssen verstehen, warum, wie und was das Unternehmen tut. Dann ist die Wirkungskette um ein vielfaches größer als nur mit der Entwicklungsabteilung ein im herkömmlichen Sinne „nachhaltiges“ Produkt zu entwickeln, und das dann in den Markt zu bringen, und zu sagen, jetzt müssen wir noch eine halbwegs verständliche Kommunikation basteln. Selbst das wird nicht gelingen, weil im Unternehmen dieses eine Produkt andere Produkte gleichzeitig in Frage stellt. Das heißt jetzt nicht, dass das ganze Unternehmen die Schulbank drücken muss, aber die Führungsetage ist gefordert: Wenn die Führungsmannschaft versteht, wie eine neue Ausrichtung des Unternehmens aussieht, ohne die betriebswirtschaftliche Stabilität zu gefährden, und dieses auch als Wettbewerbsvorteil erkennt, setzen sie im Unternehmen ungeahnte Kräfte frei. Und die Botschaft in den Markt kann glaubwürdig sein: Wir machen uns auf den Weg, um sukzessiv unsere Produkte in diesem Sinne zu entwickeln.
Im Unternehmen wird im Idealfall eine vorhandene Identität verstärkt, bekommt eine höhere Wertigkeit durch die Neuorientierung hin zu dem von Dir beschriebenen Aspekten die jetzt in Produktion, Vermarktung und Verkauf mit hineinwirken. Wird so die Identität eines Unternehmens beziehungsweise einer Marke aufgewertet?
Ja, das ist eine zentrale Wirkungskette, die dann in Gang kommt. Das hat etwas mit Imagefaktoren zu tun, damit, wie sich ein Unternehmen positioniert, wie es gesehen wird und welche Bindungskraft es intern wie extern entwickelt. In diesem Kontext sind gesamtgesellschaftliche Entwicklungen ausgesprochen wichtig. Wie verändern sich Haltungen, Erwartungen, Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen. Das Pendel schlägt gerade extrem in Richtung Quantität, Effizienz und Kosten aus, also „schneller, höher, weiter“. Das geht meist zu Lasten der Qualität, der emotionalen Bindung, wonach sich allerdings die Menschen immer stärker sehnen. Der sichtbare Pendelausschlag in die eine Richtung erzeugt unterbewusst einen Sog in die andere nicht sichtbare aber fühlbare Richtung. Und genau da liegen meiner Meinung nach die Entwicklungsräume der Zukunft.
Ich glaube, Deutschland könnte, was das betrifft, zum Vorreiter werden. Die Unternehmen müssen sich jetzt auf den Weg machen. Es geht darum, die Sehnsucht der Menschen zu erkennen und zentrale Bedürfnisse wie z.B.: Die Liebe zur Natur und das wachsende Bewusstsein für Gesundheit als Innovationstreiber zu nutzen und mit wissenschaftlicher Expertise Lösungen für die Probleme entwickeln, vor denen wir als Gesellschaft weltweit stehen.
Eine zentrale Frage lautet dabei: Wie können wir Investitionsprozesse anregen, die Innovations- und Veränderungsprozesse in diese Richtung ermöglichen? Denn wir sehen ja, wie ganze Branchen gerade unter Druck geraten, wenn nicht gar vom Aussterben bedroht sind: Unter anderen die Textil-, Leder-, Papier-, Druck-, und die Farbindustrie, um nur einige Branchen zu nennen. Unzählige Produktionsstätten wurden und werden in Billiglohnländer verlagert. Wir alle kennen Beispiele, wie die Textilfabriken in Bangladesch, die in keinster Weise auf Gesundheit von Mensch und Material achten. Wir können die Dinge nicht mehr nur nach dem Effizienzprinzip betrachten. Wohin mit all dem Giftstoffen und dem Abfall, der zum Sondermüll geworden ist? Von der sozialen Frage einmal ganz abgesehen.
Kurz zusammengefasst: Die Marke soll also mit in die Verantwortung genommen werden, sorgsam mit den Dingen die uns gegeben sind umzugehen?
So könnte man es formulieren. Ganz grundsätzlich wäre es ein immenser Gewinn, wenn Marke als Innovations- und Investitionstreiber sinnstiftend eingesetzt werden würde. Und in diesem Sinne in zentralen Fragestellungen entscheidungsfähig macht und Orientierung bietet. Insbesondere in der Frage, ob geplante Innovationen zum Zukunftsbild des Unternehmens passen, oder eben nicht. Und somit im Sinne des Ganzen strategisch wirksam wird. Denn es geht nicht um „Verzichten, Vermeiden, Verringern“, es geht um künftiges positives Wachstum.
Die Fragen stellte Guido Neubert