Über das erfolgreiche Kulturprojekt „MoMA in Berlin“
Frau Mayer-Johanssen, wie kam die Zusammenarbeit mit den Freunden der Nationalgalerie für das MoMA-Projekt zustande? Haben Sie sich auf eine Ausschreibung hin beworben?
Es war eigentlich wie immer. Die Freunde der Neuen Nationalgalerie hatten schon des öfteren mit Designern und Agenturen zusammengearbeitet und sich am Markt umgesehen. Sie haben Gespräche geführt, sich Angebote unterbreiten lassen und gesichtet. Wir konnten mit unserem Konzept das verantwortliche Team überzeugen.
Wie haben Sie die Strategie geplant bzw. wie baut man eine gute Kampagne für ein Kulturunternehmen auf? Gab es besondere Vorgaben zu beachten?
Es scheint für Kulturschaffende ein neuer Gedanke zu sein, aber Kulturinstitutionen müssen, wenn Sie Aufmerksamkeit erreichen möchten, ebenso strategisch vorgehen, wie Wirtschaftsunternehmen. Lediglich die Themen sind andere und sie müssen anders aufbereitet werden. Aber – und das ist der entscheidende Punkt – mit der Thematik an sich muss man sich ebenso intensiv auseinandersetzen wie bei einer Produkt oder einer Unternehmensmarke, um eine Kernaussage formulieren zu können, die auch tatsächlich das Interesse des Gegenüber weckt.
Wie lange hatten Sie im Vorlauf Zeit, die Kernaussage „Das MoMA ist der Star“ zu definieren?
Wir sind an die MoMA-Ausstellung genauso herangetreten, wie an eine Markenentwicklung. Das ist sicher eine andere Vorgehensweise als es Museen üblicherweise tun. Sie sind gewohnt, dass für Ausstellungsankündigungen ein Plakat mit einer vom Museum vorgegebenen Überschrift und Gestaltungsvorstellung entworfen wird. MetaDesign arbeitet hier anders: Wir binden die Personen, die die Verantwortung tragen in den strategischen Entwicklungsprozess aktiv ein. Sie repräsentieren das größte Know-how, liegen allerdings oft mit ihren sehr unterschiedlichen Sichtweisen weit auseinander, wie es bei z.B. bei dem Vorsitzenden des Freundeskreises, Peter Raue, dem Generaldirektor der Staatlichen Museen, Klaus-Peter Schuster, und der Kuratorin der Ausstellung, Angelika Schuster, sicherlich in der einen oder anderen Frage auch der Fall war. In einem Workshop erarbeiten wir gemeinsam mit diesen Verantwortlichen die strategischen Grundlagen und die zentrale Botschaft oder das, was wir zu einer zentralen Botschaft machen könnten, heraus. Daraus entwickeln wir die Kernidee und die Positionierung, die dann die konzeptionelle Basis für Kommunikation und Design bilden. Wir hätten auch die bekanntesten Künstler der Ausstellung aufs Plakat setzen können: Picasso, Matisse, Miro, Pollock etc.. Aber während des Workshops wurde sehr deutlich, dass einzelne Künstler aus der Sammlung nicht für das Ganze stehen können, dass die MoMA-Ausstellung weit über ihre Einzelakteure hinausgeht. Die Frage war, welche Gefühle, welche Vorstellungen sollten geweckt werden, welche Erwartungen wollen wir wecken, wenn das erste Mal das Plakat in der Öffentlichkeit zu sehen ist? So kristallisierte sich die Kernaussage „Das MoMA ist der Star“ heraus.
Gab es im Laufe des Workshops divergente Meinungen bei den Verantwortlichen von Seiten der Staatlichen Museen? Merkte man an mancher Stelle, dass es Reibungspunkte mit der Vorstellung bei der Agentur gab?
Zu Beginn mussten wir den Verantwortlichen zunächst verdeutlichen, dass sie sich auf eine Investition mit ziemlich hohem Risiko eingelassen hatten: Die Aufgabe lautete, mindestens 700 Besucher pro Tag in die Ausstellung zu holen. Das mit einer einfachen Plakat- und Flyer-Aktion erreichen zu wollen, wäre völlig unmöglich. Bei der Menge der Plakate und Flyer, die sie verteilen müssten, bräuchten sie einen Etat von mehreren Millionen. Der Etat lag aber bei 600.000 Euro. Um die angestrebte Besucherzahl zu erreichen, war also massive Aufmerksamkeit gefragt, und dies wurde den Verantwortlichen während des Workshops richtig deutlich. Wir haben einen Problemvertiefungsprozess angestoßen und Fragen formuliert: Welche Punkte müssen wir beachten? Welche Lösungen müssen wir entwickeln? Die schließlich entworfene Kampagne war die Antwort auf diese Fragen.
Ein konkretes Beispiel: Bei der langen Laufzeit der MoMA-Ausstellung z.B. wäre ein einziges Plakatmotiv problematisch, da der Aufmerksamkeitwert bei einem immer gleichen Motiv drastisch sinkt. Eine strategische Herangehensweise bedeutet also nicht, mehrere Motive zu entwickeln und das schönste auszuwählen, sondern die Gesamtproblematik zu erkennen und dafür kreative Lösungen zu entwickeln – und zwar strategisch kommunikativ und strategisch visuell.
Die Verantwortlichen waren also erstaunt über die Dimension der Aufgabe, der sie sich stellen mussten?
Das ist eigentlich immer der Fall. Man muss oft mit ganz grundsätzlichen Glaubenssätzen aufräumen und das auf allen Ebenen. Bei der Neuen Nationalgalerie kommt hinzu, dass öffentliche Museen im Bezug auf beispielsweise Öffnungszeiten und Personal einen engeren Handlungsspielraum haben als Privatunternehmen. Außerdem mussten wir darüber nachdenken, was es heißt, in einer Gesellschaft zu agieren, die immer mehr von einem Eventcharakter geprägt ist, und was es wiederum heißt, sich darin bemerkbar zu machen. Es war nahezu ein Paradigmenwechsel. Heute steht nicht mehr das Kunstwerk selbst im Zentrum, sondern die Kommunikation darüber. Denn vielerorten ist der Eintritt für eine Ausstellung mittlerweile auf eine beachtliche Summe gestiegen. Zudem möchte man die Besucher dazu anregen, Postkarten und Plakate zu kaufen, Kaffee zu trinken und so weiter. Der Ausflug ins Museum wird also für eine Familie oder auch für Studenten zu einem richtigen Investment. Sie müssen den potentiellen Kunden daher klar und deutlich sagen, warum sich diese Investition lohnt.
Aber diese Aufmerksamkeit zu bekommen, funktioniert heute bei einem nahezu nivellierten Werbemarkt kaum noch. Welche Potenziale gibt es denn gerade für kleine Einrichtungen? MoMA war ja im Werbebereich ein Ausnahmeprojekt.
Es gilt die alte Regel: Je weniger Geld sie haben, desto strategischer müssen sie damit umgehen. Es geht darum, Abläufe zu professionalisieren und zielgerichtet zu kommunizieren. Für den Erfolg der MoMA-Ausstellung war die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ein ganz zentraler Punkt. Wir haben ein Kommunikationskonzept entworfen, das en Detail beschrieben hat, welche Maßnahmen wann greifen. Anregungen haben wir uns dabei beim Krisenmanagement geholt: Von Beginn an die Dinge zu Ende denken, um dann nicht, wenn etwas nicht funktioniert, kurzfristige Aktionen zu starten, die nicht mehr zielgerichtet sind.
Aber das Problem in den meisten Kulturinstitutionen ist, dass aus Personal- und Geldmangel kein professioneller Angestellter diese Arbeit betreut. Es fällt ja häufig auf den „Kulturschaffenden“ zurück, der nicht die passende Ausbildung für eine solche Aufgabe hat. Man bräuchte also das geschulte Personal.
Man braucht eine professionelle Einstellung. Das Spannende ist, dass sich hier im Augenblick sehr viel verändert. Wir erleben das im Gespräch mit Museumsleuten: Von früher fünf Prozent Kommunikationsetat werden mittlerweile bereits bis zu 50 Prozent der Projektgelder für kommunikative Maßnahmen eingesetzt. Und das ist eine sichtbare Entwicklung hin zur Professionalität.
Liegt das Problem nicht aber auch in der mangelnden Bereitschaft, neue Wege zu gehen?
Ich denke, der Markt wird noch enger werden. Und es ist häufig so, dass erst die Krise uns Menschen dazu befähigt, die Dinge neu zu sehen und alte Glaubens- und Verhaltensmuster aufzugeben. Unterm Strich gesagt: Das Geld ist nicht das Problem, die geistige Haltung und die Art und Weise, Dinge in Gang zu bringen, ist es. Relativ verbreitet ist der Gedanke „Ich brauche einfach nur ein Logo, und die Sache wird funktionieren.“ Aber erst wenn man das Logo als ein Symbol für etwas kommuniziert und es eine deutliche Identität repräsentiert, hat ein Logo eine wirkliche Kraft.
Wird häufig nicht lediglich die Fassade, das äußere Erscheinungsbild, das Logo etc. verändert, aber nicht grundlegende Ausrichtung?
Da muss ich Ihnen leider Recht geben. Aber das Problem fällt den Leuten immer wieder auf die Füße. Wenn man heute neue Wege beim Ringen um Aufmerksamkeit beschreiten möchte, muss man wissen, wofür man stehen will und was die eigene Botschaft und Überzeugung ist.
Der nächste Schritt dabei ist die konsequente Verfolgung der Strategie, anstatt alle zwei Jahre die Botschaft zu wechseln?
Das ist wichtig. Sonst kann das Gegenüber die Botschaft nicht lernen.
Wie lange braucht man, um eine Botschaft nachhaltig kommunizieren zu können? Wie lauten Ihre Erfahrungswerte?
Sie können kurzfristige Erfolge dann generieren, wenn sie eine Plattform haben, auf der sie agieren – wenn sie für etwas bekannt sind. Nehmen Sie die documenta in Kassel. Die Verantwortlichen haben über Jahre hinweg an ihrer Überzeugung festgehalten. Hätten sie alle vier Jahre ihr Konzept verändert, dann wäre sie nie die weltweit bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst geworden. Man braucht Konstanten und Variablen. Konstanten, die gelernt sind, so dass man die Leute schnell abholen kann. Und Variablen, die ein Thema medien- und themenadäquat sehr fokussiert positionieren.
Uns war klar, dass wir der MoMA-Ausstellung prägnant und laut sein müssen, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Der Sog musste so groß sein, dass er das ganze Thema über den langen Zeitraum tragen kann. Daher haben wir zu Beginn der Kampagne auf Irritation gesetzt. In ganz Berlin hingen gerade einmal 450 Plakate in den Farben Magenta und Gold, die besagten: „MoMA ist der Star“, „MoMA kommt“. Die Reaktionen reichten von Verwirrung bis Entsetzen, die Plakate wurden zu einem Thema, über das die Presse berichtete. Bevor die Ausstellung überhaupt begonnen hatte, war das Interesse der Öffentlichkeit derart groß, dass die Medien sich des Themas oft und dankbar angenommen haben. Und ich finde, hier haben wir brillant gespielt.
Aber waren Sie ein Stück weit nicht selbst von der Wirkung überrascht?
Dass letztendlich 1,2 Millionen Besucher gezählt wurden, überraschte natürlich alle. Aber eins ist klar: Dieser Erfolg war kein Zufall. Er war strategisch geplant, und es wurden zielgerichtet die Instrumente gewählt, die dieses Ergebnis möglich gemacht haben.
Welche Lehren können für Werbung im Kulturbereich aus diesem Projekt gezogen werden?
Was man sicher daraus lernen kann ist, dass man die Probleme im Vorfeld analysieren und man konzeptionell arbeiten muss. Kommunikation, Strategie und Design müssen Hand in Hand gehen.
Wie weit ging Ihr Aufgabenbereich bei dem Projekt MoMA?
MetaDesign hat das Konzept entwickelt und alle kommunikativen Maßnahmen weiter begleitet. Aber natürlich war der Verein der Freunde der Nationalgalerie Handlungs- und Entscheidungsträger. Da der Verein im Workshop die Grundlagen der Kampagne und die Zielsetzung mitentwickelt und formuliert hatte, konnte er später selbstständig und zielgerichtet zu agieren. Das ist der entscheidende Punkt: Für die erfolgreiche Umsetzung einer Kommunikationskampagne muss das Kulturunternehmen als Auftraggeber und Nutzer den Prozess verstehen und aktiv mittragen, also das Interesse und die Fähigkeit haben, Kommunikationsinstrumente konsequent im Sinne der entwickelten Zielsetzung einzusetzen.
Frau Mayer-Johanssen, vielen Dank für das Gespräch!