Digitale Inhalte – aus der Marke gedacht. Marken im digitalen Zeitalter

Mai 30, 201712 Minutes

Buchbeitrag von Uli Mayer-Johanssen, erschienen Mai 2017 in:

Digitale Markenführung – Digital Branding im Zeitalter des digitalen Darwinismus.
Das Think! Book von Karl-Heinz Land, Ralf T. Kreutzer.

Unsere Informations- und Kommunikationsgesellschaft wird gleichermaßen geprägt von globaler Vernetzung und rasantem Wandel. Dabei steigen die Anforderungen an Unternehmen und Marken in bislang nicht gekanntem Maße. Komplexität, ein Überangebot an Marken, Dienstleistungen, Produkten und Optionen erzeugen mittlerweile ein Gefühl der Orientierungslosigkeit und Überforderung.

Die zunehmende Digitalisierung verändert nicht nur die Formen der Kommunikation, sondern erfasst mittlerweile alle Lebensbereiche. Neue Geschäftsmodelle etablieren sich und die Erwartungen an die Unternehmen, die Menschen zu entlasten, ihr Leben zu erleichtern und ihnen Entscheidungen abzunehmen, steigen kontinuierlich. Das Bedürfnis nach Interaktion, Beteiligung und Entertainment wächst und erhält durch soziale Medien und neue Technologien einen nie gekannten Stellenwert. Neben den vielfältigen Chancen, die sich für Marken und Unternehmen im Dialog mit ihren Kunden ergeben, erzeugt die Vielzahl an technischen Optionen und das Tempo, in dem sich die Rahmenbedingungen und Verhältnisse am Markt verändern, Verunsicherung, wenn nicht gar Unbehagen. In gleichem Maße steigt die Verant-wortung derer, die über Kanäle und Inhalte entscheiden, um Kunden zu erreichen oder für Produkte und Dienstleistungen zu werben.

Spätestens mit der Erweiterung des Internets in Social-Media-Kanäle haben sich die Erwar-tungen der Menschen an die Dialogfähigkeit der Unternehmen nachhaltig gewandelt. Sie setzen voraus, dass Unternehmen diese Form der Ansprache bieten, zielgruppenadäquat kommunizieren und ihre Dienstleistung entsprechend gestalten. Nutzerführung, Logik, Anmutung und Inszenierung unterliegen eigenen Gesetzmäßigkeiten und Erwartungen. Darüber hinaus werden durch den Einsatz und den Umgang mit digitalen Medien Erwartungen geweckt, die weit über den konkreten Informationsaspekt hinausgehen. Zugänglichkeit, Aktualität, Leichtigkeit und spielerischer Umgang mit den Kanälen werden zunehmend zu Kriterien in der Bewertung und Akzeptanz von Marken.

Darum Marke

Eine starke Marke schafft Vertrauen und ermöglicht langfristige Beziehungen, indem sie Identifikationspotenzial bietet und neben Risikoreduzierung und Informationseffizienz ideel-e Werte verkörpert. Eine emotionale Ansprache, die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen ins Zentrum stellt, wird immer wichtiger. Unabhängig davon, um welche Dienstleistungen oder Produkte es sich handelt. Unabhängig davon, über welche Kanäle die Marke kommuniziert. Insbesondere in einer Konsumgesellschaft, in der Produkte und Dienstleistungen immer weniger Alleinstellungsmerkmale oder reale Unterschiede bieten, werden Kommunikation und Marke als Abgrenzung und Unterscheidung im Wettbewerb zu Schlüsselfaktoren: Marke ermöglicht Differenzierung von der Konkurrenz und Identifizierung nach innen wie nach außen. Strategie, Werte, Positionierung und Ausrichtung der Marke werden zu entscheiden-den Prüfkriterien, ob etwas zu Unternehmen und Marke passt, oder eben nicht.

Chance und Risiko für Marken

Inhalte, die im Web in besonders hohem Maße weiterempfohlen, geteilt oder geliked werden, gelten zunächst als erfolgreich. In den letzten Jahren hat Edeka mit einer ganzen Serie ebenso auffälliger wie mutiger Video-Geschichten kontinuierlich für hohe Aufmerksamkeit wie heftige Diskussionen gesorgt. Ob mit einer Reihe dreiminütiger millionenfach gelikeden „Supergeil“-Videos mit Friedrich Liechtenstein, die für manchen bereits grenzwertig waren und die Frage nach der Stimmigkeit im Kontext der Neupositionierung „Wir lieben Lebensmittel“ aufwarfen, oder dem ebenso vieldiskutierten Weihnachtsclip, der mit den Konsequenzen einer sich immer schneller drehenden, auseinanderstrebenden, karriereorientierten Welt und die damit einhergehende soziale Vereinsamung und Kälte zwischen den Menschen emotional in Szene setzte. Am Ende bleibt die Frage: Passt die Aussage zur Positionierung der Marke bzw. des Unternehmens und unterstreicht sie damit die Glaubwürdigkeit und Relevanz der Botschaft? Das Bedürfnis nach Entertainment, Humor und einem gesteigerten Spaßfaktor verdrängt zunehmend den Wunsch nach Daten, Fakten und sachlichen Informationen im Netz.

Die Gründe, warum User fremde Inhalte im Netz verbreiten, sind laut einer Studie der New York Times Customer Insight Group unterschiedlichster Natur: Menschen unterhalten, bilden oder überraschen, sich gegenüber der Community mit Inhalten darstellen und definieren, sich selbst verwirklichen oder Netzwerke ausbauen. Was die Inhalte allerdings bieten müssen, um geteilt zu werden, bildet ein breites Spektrum: bildstark, witzig, überraschend oder emotional und ansprechend müssen sie sein. Die Liste ließe sich beliebig fortführen, immer aber sind es emotional geprägte Aspekte, die eine zentrale Rolle spielen. Eines jedoch ist sicher: Kein User macht sich selbst zum kostenlosen Vermittler platter Werbebotschaften. Der Content muss für den Nutzer relevant sein und ihm dazu verhelfen, sein Profil innerhalb der Community zu schärfen – erst dann wird geteilt.

Doch sharen und liken alleine reicht nicht aus, denn so viele Klicks das amüsante Katzen-Video auf YouTube auch einsammeln mag: Wenn der Inhalt der Marke ihrer Positionierung nicht entspricht oder das Profil verwässert, bleibt der Clip zwar in Erinnerung, der Absender aber gerät in Vergessenheit. Schlimmer noch: Werden die eigenen Markenwerte in der Kommunikation gar torpediert, kann sich das negativ auf Marke und Image des Unternehmens auswirken. Bei vielen Spots können einem schon Zweifel kommen, ob die Nachhaltigkeit der Botschaft im Wettlauf um Klickraten am Ende nicht zum Bumerang für die Marke wird. Die Glaubwürdigkeit von Marken leichtfertig aufs Spiel zu setzen, ist ein Spiel mit dem Feuer und kann über Nacht zum Supergau für Marke und Unternehmen werden.

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit

Unser Blick auf die Dinge sowie unsere Möglichkeiten, uns einzubringen und zu beteiligen, bringen nachhaltige Veränderungen mit sich. Und so verändern sich nicht nur unser Blick, sondern auch die Rollen, die wir einnehmen. Mal sind wir Teil einer Community, mal Impulsgeber, Konsument oder der, der etwas weiterempfiehlt. Im Zuge der digitalen Manipulationsmöglichkeiten und immer offensichtlicheren Daten-Missbrauchs-Skandale erfährt die persönliche Empfehlung eine Renaissance. Weiterempfehlungen durch Freunde, Familie oder Kollegen stehen hoch im Kurs. Eine der ältesten Kommunikationsformen der Welt, die Mundpropaganda, erhält erneut einen zentralen Stellenwert.

Was Kommunikation nicht kann

In vielen Jahren intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema Strategie, Kommunikation, Design und Interaktion, wie der rasant steigenden Dynamik technischer Möglichkeiten und somit immer neuer Dimensionen in der Kommunikation, ist die Frage nach den Grenzen einer virtuellen, digitalen Kommunikation vielleicht die Spannendste. Die Frage nach den Grenzen der Wahrnehmung, wie den Grenzen von Machbarkeit und Verständlichkeit, sind beileibe nicht erst seit der Erfindung des Internets von Bedeutung.

Kommunikation konnte noch nie aus schlechten Produkten bessere machen. Politikverdros-senheit in Politikbegeisterung wandeln oder den Vorständen unternehmerische Entscheidungen abnehmen. Wie sagte der Krisenkommunikationsspezialist Klaus-Peter Johanssen so treffend: „Was nicht kommunizierbar ist, ist nicht umsetzbar.“. Und dies gilt unabhängig von den eingesetzten Mitteln, Kanälen oder Medien.

Als ich vor einigen Monaten diesen Beitrag verfasste, rollte die noch junge Marke ADAC-Postbus mit viel Elan und großen Hoffnungen auf deutschen Autobahnen. Der ADAC-Skandal um Manipulation, Bestechung und Amtsmissbrauch bedeutete leider im weiteren Verlauf den Ausstieg des ADAC aus den gemeinsamen Aktivitäten und so wandelte sich die Marke ADAC-Postbus in Postbus. Mittlerweile hat die Billigpreisspirale auch diese Marke unter sich begraben. Nichts desto trotz halte ich das folgende Beispiele für durchaus beachtenswert.

Batman fährt ADAC Postbus

Um das Feature Onboard-Entertainment erlebbar zu machen, gleichzeitig eine junge Zielgruppe zu erreichen und das Service-Versprechen Entertainment, Spaß und Spannung einzu-lösen, fiel die Entscheidung auf einen Online-Clip. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren die Aspekte Raum und Zeit, die es ermöglichen, die Geschichte dramaturgisch aufzubauen und sukzessive eine Botschaft zu transportieren, die ein nachhaltiges Erinnerungspotenzial bietet.

Batman, Superman sowie Chewbacca und Storm Troopers aus der Filmreihe Star Wars betraten die Bühne: Als Superhelden verkleidete Statisten mischten sich wie selbstverständlich unter die nichtsahnenden Passanten am Zentralen Omnibus Bahnhof Berlin und warteten auf den ADAC Postbus, kauften Tickets, verstauten ihr Gepäck und bestiegen schließlich als „normale“ Fahrgäste den Bus.

Eine kurzweilige, spannende und witzige Reise beginnt. Authentische Überraschungsmomente und ein erzählerischer Spannungsbogen vermitteln das Serviceversprechen des beworbenen Onboard-Entertainment-Angebots im ADAC Postbus. Nicht nur die Gäste im Bus hatten ihren Spaß, sondern auch die Zuschauer vor den Bildschirmen. Spielerisch und unterhaltsam wurden die wesentlichen Inhalte transportiert. Der Clip generiert Spannung, weckt Interesse am Angebot und spricht mittels des Online-Clips in den sozialen Netzwerken insbesondere die junge Zielgruppe an – wesentlich gezielter als ein klassischer TV-Spot.

Fazit

Die digitalen Medien sind mittlerweile integraler Bestandteil unserer Lebenswelt. Eine Tren-nung zwischen digital oder analog existiert schlicht nicht, es gibt nur ein sowohl als auch. Homepage, Blog und Facebook-Fanpage sind schon lange kein Randphänomen mehr und Klickraten längst nicht mehr die einzig geltende Währung. Digitale Markenführung muss deshalb ebenso konsequent aus der Marke gedacht sein, wie klassische Kommunikation über analoge Medien und Kanäle, wenn nicht sogar konsequenter und stringenter. Die Grenzen haben sich längst aufgelöst. Botschaften, die einst mittels Print, TV oder Plakat relativ unabhängig voneinander existieren konnten, sind online jederzeit, überall und 24 Stunden, 7 Tage die Woche kritischen Fragen und Persiflagen ausgesetzt. Beißende Kritik und überbordende Häme können im Zweifelsfalle per Facebook oder Tweet in Sekundenschnelle für Marke und Unternehmen zum Bumerang werden. Gefahr und Chance zugleich. Ohne ganzheitliche Betrachtung und Steuerung der Markenkommunikation werden die Impulse schnell zur Gefahr und die Mittel, die Unternehmen einsetzen, bewirken unter Umständen genau das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollten.